Die ganz überwiegende Mehrzahl der Änderungen im Steuer- und Sozialversicherungsrecht tritt jeweils zum Jahreswechsel in Kraft. Entsprechend umfangreich ist in der Regel die Liste der Änderungen im neuen Jahr. Weil im vergangenen Herbst aber die Bundestagswahl anstand und die Bundesregierung ohnehin mit dem Management der Corona-Krise stark ausgelastet ist, gab es im letzten Jahr kein Jahressteuergesetz, in dem meist der Großteil dieser Änderungen gebündelt ist.
Das bedeutet natürlich nicht, dass sich zum Jahreswechsel nichts geändert hat, denn viele Änderungsgesetze aus den Vorjahren enthalten auch Regelungen, die erst 2022 in Kraft treten. Dazu gibt es Sonderregelungen aufgrund der Corona-Krise, die zum Jahreswechsel ausgelaufen sind oder erst noch verlängert werden müssen. Und schließlich hat die neue Regierungskoalition auch viele Pläne geschmiedet, die teilweise schon in diesem Jahr in Kraft treten sollen, auch wenn es dazu noch gar kein entsprechendes Steueränderungsgesetz gibt. Hier ist daher der jährliche Überblick über die wichtigsten Änderungen zum Jahreswechsel:
Grundfreibetrag: Der Grundfreibetrag (steuerfreies Existenzminimum) steigt 2022 um 240 Euro von bisher 9.744 Euro auf jetzt 9.984 Euro. Auch der Höchstbetrag für den Abzug von Unterhaltsleistungen wird um 240 Euro auf 9.984 Euro angehoben.
Kalte Progression: Damit Lohnsteigerungen auch im Geldbeutel der Beschäftigten ankommen, wird mittlerweile jährlich der Effekt der "kalten Progression" ausgeglichen. Dazu werden die Eckwerte des Einkommensteuertarifs um die Inflationsrate des Vorjahres verschoben - für 2022 also um 1,17 %. Der Spitzensteuersatz von 42 % greift damit 2022 ab einem zu versteuernden Einkommen von 58.597 Euro.
Mindestlohn: Der gesetzliche Mindestlohn, der ursprünglich nur alle zwei Jahre angepasst werden sollte, steigt nach dem Willen der Mindestlohnkommission stattdessen 2021 und 2022 in halbjährlichen Schritten. Nach der letzten Anhebung am 1. Juli 2021 auf 9,60 Euro ist zum Jahreswechsel die dritte Stufe der Anhebung in Kraft getreten: Seit dem 1. Januar 2022 beträgt der Mindestlohn 9,82 Euro, und zum 1. Juli 2022 ist eine vierte Anhebung auf 10,45 Euro vorgesehen. Allerdings hat sich die Ampelkoalition auf eine Anhebung des Mindestlohns auf 12,00 Euro geeinigt, die nach dem Willen des Arbeitsministers "noch in diesem Jahr" kommen soll. Ob das aber heißt, dass schon die Anhebung zum 1. Juli 2022 deutlicher höher ausfällt, dass in diesem Jahr noch ein dritter Anhebungsschritt erfolgt, oder dass in diesem Jahr lediglich die gesetzliche Grundlage geschaffen wird, die dann aber erst zum kommenden Jahreswechsel greift, ist derzeit noch völlig offen.
Azubi-Mindestlohn: Für Auszubildende gilt der reguläre Mindestlohn nicht. Stattdessen gibt es seit 2020 eine Mindestvergütung für Azubis, die in nicht tarifgebundenen Betrieben zu zahlen ist. Ab 2022 steigt diese Mindestvergütung um 35 Euro und beträgt nun 585 Euro im Monat. In den späteren Lehrjahren steigt die Mindestvergütung an, und zwar um 18 % (690,30 Euro mtl.) im 2. Lehrjahr, 35 % (789,75 Euro mtl.) im 3. und 40 % (819,00 Euro mtl.) im 4. Ausbildungsjahr.
Minijobs: Ab dem 1. Januar 2022 muss für alle gewerblichen Minijobber im Rahmen der Jahresentgeltmeldung auch die Steueridentifikationsnummer an die Minijob-Zentrale gemeldet werden, erstmals also in der nun fälligen Jahresmeldung für 2021. Das gilt unabhängig davon, ob der Arbeitgeber die Steuer pauschal an die Minijob-Zentrale zahlt oder die individuelle Besteuerung nach der Lohnsteuerklasse vornimmt. Außerdem sind bei der Datenübermittlung die Steuernummer des Arbeitgebers und die Art der Versteuerung (individuell oder pauschal) anzugeben. Die Änderung gilt nur für geringfügig Beschäftigte in einem normalen Minijob, nicht aber für kurzfristige Arbeitsverhältnisse. Im Haushaltsscheck-Verfahren erfragt die Minijob-Zentrale die Steuer-ID nur in den Fällen, in denen ausnahmsweise keine Pauschsteuer gezahlt wird.
Sachbezugsfreigrenze: Die Grenze für steuerfreie Sachbezüge wurde zum 1. Januar 2022 von 44 auf 50 Euro im Monat angehoben. Am Prinzip der Sachbezugsfreigrenze ändert sich jedoch nichts: Der Wert ist ein Monatswert und darf nicht auf eine Jahresfreigrenze von 600 Euro hochgerechnet werden. Außerdem ist ein Sachbezug auch bei geringfügiger Überschreitung der Freigrenze in voller Höhe steuerpflichtig, weil es sich um eine Freigrenze und keinen Freibetrag handelt.
Sachbezüge: Immer wieder gab es in der Vergangenheit Streit mit den Finanzämtern über die Abgrenzung zwischen Bar- und Sachlohn. Weil sich die Rechtsprechung mehrfach geändert hat, gibt es seit 2020 eine gesetzliche Definition von Sachbezügen, die dauerhaft für mehr Klarheit sorgen und gleichzeitig bestimmte Entgeltoptimierungsmodelle verhindern soll. Zum grundsätzlich steuerpflichtigen Barlohn gehören nun zweckgebundene Geldleistungen, nachträgliche Kostenerstattungen, Geldsurrogate und andere Vorteile, die auf einen Geldbetrag lauten sowie Versicherungsbeiträge und andere Zukunftssicherungsleistungen für den Arbeitnehmer oder diesem nahestehende Personen. Gutscheine gelten nur noch dann weiterhin als Sachbezüge, wenn der Aussteller identisch ist mit dem Unternehmen, dessen Waren oder Dienstleistungen damit bezogen werden können. Weitere Voraussetzung ist, dass die Gutscheine zusätzlich zum ohnehin geschuldeten Arbeitslohn gewährt und nicht im Rahmen einer Entgeltumwandlung ausgegeben werden. Bestimmte Leistungen (Guthabenkarten etc.) sind damit keine Sachbezüge mehr. Die Finanzverwaltung hatte allerdings eine Übergangsfrist gewährt, in der bis Ende 2021 noch die alten Kriterien für Gutscheine angewendet werden konnten. Ab 2022 gilt die striktere Definition nun ohne Ausnahme. Die Änderung wirkt sich nicht nur auf die monatliche Sachbezugsfreigrenze von jetzt 50 Euro aus, sondern auch auf die Pauschalierung der Einkommensteuer auf Sachzuwendungen.
Home Office-Pauschale: Für die Arbeit zu Hause kann eine Pauschale von 5 Euro pro Tag geltend gemacht werden. Gewährt wird die Pauschale nur für Tage, an denen die Arbeit ausschließlich zu Hause ausgeübt wird. Anders als beim Abzug von Werbungskosten für das häusliche Arbeitszimmer gibt es bei dieser Pauschale keine weiteren Anspruchsvoraussetzungen. Die Pauschale ist auf einen Höchstbetrag von 600 Euro im Jahr begrenzt und galt zumindest vorerst nur für die Jahre 2020 und 2021. Die Ampelkoalition will die Pauschale jedoch bis zum 31. Dezember 2022 verlängern und evaluieren, was auf eine Verlängerung über das Jahr 2022 hinaus hoffen lässt.
Elektrofirmenwagen: Um die steuerliche Begünstigung bei der Dienstwagenbesteuerung zu erhalten, müssen Plug-In-Hybridfahrzeuge eine bestimmte Mindestreichweite unter ausschließlicher Nutzung des elektrischen Antriebs haben. Diese Mindestreichweite hängt vom Datum der Anschaffung und Erstzulassung ab und lag bis Ende 2021 bei 40 Kilometer. Seit dem 1. Januar 2022 gilt nun eine Mindestreichweite von 60 Kilometern. Nach aktuellem Gesetzesstand soll dieser Wert noch bis Ende 2024 gelten und dann auf 80 Kilometer ansteigen. Allerdings hat sich die Ampelkoalition darauf geeinigt, die Mindestreichweite bereits ab dem 1. August 2023 auf 80 Kilometer anzuheben, auch wenn die Gesetzesänderung dazu noch nicht erfolgt ist.
Abschreibungen: Als Teil des Corona-Konjunkturpakets war für bewegliche Wirtschaftsgüter des Anlagevermögens, die in den Jahren 2020 und 2021 angeschafft oder hergestellt wurden, anstelle der linearen Abschreibung auch eine degressive Abschreibung von bis zu 25 %, höchstens aber dem Zweieinhalbfachen der linearen Abschreibung möglich. Die Möglichkeit einer degressiven Abschreibung ist zum Jahreswechsel aber planmäßig ausgelaufen, sodass für in 2022 angeschaffte oder hergestellte Wirtschaftsgüter wieder ausschließlich die lineare Abschreibung möglich ist.
Klima-Sonderabschreibung: Laut dem Koalitionsvertrag soll es eine Superabschreibung für Klimaschutz und digitale Wirtschaftsgüter geben, mit der ein Kostenanteil der in 2022 und 2023 angeschafften oder hergestellten Wirtschaftsgüter, die in besonderer Weise diesen Zwecken dienen, zusätzlich abgezogen werden kann. Die Details zu dieser Sonderabschreibung muss die Regierungskoalition jedoch erst noch ausarbeiten.
Grundsteuerreform: Das Bundesverfassungsgericht hatte 2018 die Verfassungswidrigkeit der bisherigen Grundsteuer festgestellt und dem Gesetzgeber aufgegeben, eine verfassungskonforme Neuregelung zu schaffen, die dann ab 2025 zur Anwendung kommt. Diese lange Übergangsfrist hat das Verfassungsgericht gewährt, weil für die Grundsteuerreform alle Immobilien neu bewertet werden müssen, was mit entsprechend viel Arbeit für die Finanzverwaltung, aber auch für die Steuerzahler verbunden ist. Allein für diese Neubewertung sind drei Jahre vorgesehen, weshalb die Grundsteuerreform am 1. Januar 2022 in Kraft getreten ist. Die Regelungen unterscheiden sich dabei von Bundesland zu Bundesland, weil sich Bund und Länder nicht auf ein bundeseinheitliches Modell einigen konnten. Gemeinsam ist aber allen Grundsteuermodellen, dass alle Immobilienbesitzer im Frühjahr 2022 zur Abgabe von Feststellungserklärungen für ihre Immobilien aufgefordert werden. Diese Feststellungserklärungen können voraussichtlich ab dem 1. Juli 2022 abgegeben werden und sind elektronisch an das Finanzamt zu übermitteln. Die Abgabefrist läuft nach derzeitigem Stand bis zum 31. Oktober 2022.
Pauschallandwirte: Der Umsatzsteuer-Durchschnittssatz für die vereinfachte Besteuerung pauschalierender land- und forstwirtschaftlicher Betriebe sinkt ab dem Jahr 2022 von 10,7 auf 9,5 %. Nach Schätzungen der Bundesregierung kommt es für die betroffenen Betriebe dadurch zu Mehrbelastungen von 80 Mio. Euro im Jahr 2022 und 95 Mio. Euro ab 2023. Der alte Durchschnittssatz von 10,7 % wäre ab dem neuen Jahr nicht mehr zulässig, weil er gegen die EU-Richtlinie über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem verstoßen würde. Daher wird der Durchschnittssatz auch künftig jährlich automatisch angepasst.
A1-Bescheinigung: Arbeitgeber müssen für ihre Arbeitnehmer schon seit 2019 die A1-Bescheinigung ausschließlich elektronisch bei der Krankenkasse beantragen. Ab 2022 sind auch Selbständige verpflichtet die Ausstellung der A1-Bescheinigung elektronisch zu beantragen, wenn sie für einen befristeten Zeitraum grenzüberschreitend innerhalb der EU oder in Island, Liechtenstein, Norwegen, der Schweiz oder dem Vereinigten Königreich tätig sind. Die Beantragung ist über das Portal sv.net vorzunehmen. Papieranträge sind nicht mehr zulässig.
Körperschaftsteuer-Option: Ab 2022 können Personenhandels- und Partnerschaftsgesellschaften sich wie eine Kapitalgesellschaft besteuern lassen. Der für die Option erforderliche Antrag ist allerdings vor Beginn des Wirtschaftsjahres zu stellen, ab dem die Besteuerung nach dem Körperschaftsteuergesetz erfolgen soll und für dieses Wirtschaftsjahr dann unwiderruflich. Für das Jahr 2022 ist diese Frist am 30. November 2021 abgelaufen. Eine spätere Rückkehr zur Einkommensteuer ist auf die gleiche Weise möglich. Steuerlich gilt die Option als Umwandlung in eine Körperschaft, löst also die entsprechenden umwandlungssteuerlichen Folgen aus, auch wenn kein tatsächlicher Formwechsel stattfindet. Die steuerliche Behandlung von Vergütungen der Gesellschafter ändert sich ebenfalls. Beispielsweise werden Tätigkeitsvergütungen an einen Gesellschafter zu Arbeitslohn, der dem Lohnsteuerabzug unterliegt.
Organschaften: Bei der körperschaftsteuerlichen Organschaft werden die Ausgleichsposten für Mehr- und Minderabführungen ab 2022 durch ein einfacheres System (sog. Einlagelösung) ersetzt, bei dem Minderabführungen zu einer Einlage durch den Organträger und Mehrabführungen zu einer Einlagenrückgewähr führen.
Umwandlungen: Das Umwandlungssteuerrecht wird ab 2022 durch die Erweiterung des persönlichen Anwendungsbereichs weiter globalisiert. Nun sind neben Verschmelzungen auch Spaltungen und Formwechsel von Körperschaften mit Bezug zu Drittstaaten steuerneutral möglich, um betrieblich sinnvolle Umstrukturierungsmaßnahmen steuerneutral durchzuführen.
Währungskursschwankungen: Währungskursverluste bei Gesellschafterdarlehen werden ab 2022 vom Abzugsverbot für Währungskursverluste ausgenommen. Dadurch wirken sich Gewinne und Verluste durch Währungskursschwankungen jetzt gleichermaßen bei der Ermittlung des steuerlichen Einkommens aus.
Gebrauchtwagenhandel: Nimmt ein Kfz-Händler beim Verkauf eines Fahrzeugs einen Gebrauchtwagen in Zahlung und leistet der Käufer in Höhe des Differenzbetrags eine Zuzahlung, ist der Wert des Gebrauchtwagens Teil des umsatzsteuerlichen Entgelts für das verkaufte Fahrzeug. Dabei galt bisher die Anrechnung eines Preises über dem Marktwert für den Gebrauchtwagen als verdeckter Preisnachlass, der das Entgelt und damit auch die abzuführende Umsatzsteuer mindert. Dem hat aber der Bundesfinanzhof widersprochen, weshalb das Bundesfinanzministerium die Regelung geändert hat - allerdings mit einer Übergangsfrist bis Ende 2021. Seit dem 1. Januar 2022 ist nun ausnahmslos für den Entgeltanteil des Gebrauchtwagens dessen subjektiver Wert anzusetzen, also der Wert, mit dem der Wagen auf den vereinbarten Kaufpreis angerechnet wird. Bei der Umsatzsteuerberechnung wird somit kein verdeckter Preisnachlass mehr abgezogen. Dieselben Änderungen gelten bei der Lieferung von Austauschteilen und Inzahlungnahme von Altteilen.