Ein halbes Jahrhundert hat der Leuchtturm von Baltijsk nur sowjetischen Kriegsschiffen den Weg gewiesen. Nun sollen nach dem Willen einiger Politiker bald auch Ausflugsdampfer die Küstenstadt vor Kaliningrad anlaufen. Sie wollen im Hafen von Baltijsk Zigaretten und Alkohol zollfrei verkaufen. Die Umwandlung des Hochsicherheitsgebiets zur Freihandelszone steht erst am Anfang. Doch die Initiative erscheint vielen verlockend, zumal die russische Marine Arbeitsplätze abbaut. "Wir hoffen, dass vor allem Kreuzfahrtschiffe vom zollfreien Einkauf angelockt werden", sagt der stellvertretende Bürgermeister von Baltijsk, Viktor Kochelew. Er ist der Hauptinitiator des Projekts.
Die Europäische Union hatte 1999 den Duty-free-Einkauf auf ihren Gewässern verboten und dem mehreren Milliarden Euro Umsatzvolumen schweren Handel ein Ende gesetzt. Die betroffenen Schifffahrtslinien sehen sich seitdem verstärkt nach Häfen außerhalb der EU um. Mehrere Betreiber haben sich in Baltijsk bereits um eine Vollmacht bemüht, die es ihnen erlaubt, Alkohol, Zigaretten und andere Waren ohne die in der EU fälligen Zollgebühren zu verkaufen. "Die Passagiere könnten mehrere Stunden bleiben, hier essen und ihre Einkäufe in der restaurierten Altstadt machen", beschreibt Kochelew seine Pläne. Die EU hat bereits einen Wiederaufbauplan für das historische Zentrum der alten preußischen Stadt Pillau entwickelt, die im Zweiten Weltkrieg zerstört worden war.
Noch haben die Arbeiten nicht begonnen, doch der geplante EU-Beitritt Polens und der baltischen Nachbarländer könnte das Interesse der Reeder an Baltijsk erhöhen. Dies umso mehr, falls Brüssel sich dazu entschließen sollte, die ganze russische Enklave um Kaliningrad zu fördern, um daraus ein Modellprojekt für die Zusammenarbeit zwischen Russland und der EU zu machen.
Bei einigen Skeptikern stößt das Projekt jedoch auf Kritik. Sie weisen darauf hin, dass die Stadt, die jahrelang für Besucher gesperrt war, nur über ein kleines Hotel und viel zu wenig Restaurants verfügt. Hinzu komme, dass Ausländer sich dort bislang nur aufhalten dürfen, wenn sie 48 Stunden vorher eine Sondergenehmigung beim russischen Inlandsgeheimdienst beantragt haben. Denn seit Sowjetzeiten ist der Hafen von Baltijsk, der im Winter nicht zufriert, streng bewachter Heimathafen der Ostseeflotte. Bis zum Untergang der Sowjetunion im Jahr 1991 war der Zugang für Fremde und selbst für einfache Stadtbewohner verboten.
Die Restriktionen zur Zeit der Sowjetunion waren nach Ansicht von Bürgermeister Alexander Kusnetsow "gerechtfertigt". Nun habe sich die Situation jedoch geändert: "Wir haben wirtschaftliche und soziale Gründe für eine teilweise Öffnung der Stadt, so kann sie ihre finanzielle Selbstversorgung sichern." Mit der Verkleinerung der russischen Ostseeflotte auf rund 50 Schiffe muss die Stadt ihre Wirtschaft vielseitiger gestalten, auch wenn die Marine immer noch knapp die Hälfte aller Arbeitsplätze in der 30.000-Einwohnerstadt stellt. Die Verwaltungschefs versprechen deshalb eine baldige Aufhebung der Einreisebeschränkungen.
Baltijsk hat inzwischen ranghohe Fürsprecher. Der ehemalige Befehlshaber der Ostseeflotte, Wladimir Egorow, ist im November zum Gouverneur der Enklave Kaliningrad gewählt worden. "Wir hoffen, dass wir Fährverbindungen nach Dänemark, Kiel und Sankt Petersburg mit Zwischenstopps in den baltischen Staaten eröffnen können", erläutert er seine Pläne. Er setzt sich auf höchster Regierungsebene für die schnelle Öffnung des Hafens ein. Der stellvertretende Bürgermeister Kochelew verweist allerdings auf ein kleines Problem des zollfreien Einkaufs: "Die Kreuzfahrtschiffer werden wenig begeistert sein, wenn eine Flasche russischer Wodka selbst mit Steuern hier weniger kostet als zollfrei an Bord."