Die Beruhigungspille für nervöse Ruheständler verabreichte das Bundesverfassungsgericht gleich selbst. "Für Aufregung bei den Rentnern besteht kein Anlass", sagte Gerichtspräsidentin Jutta Limbach bei der Bekanntgabe des BVG-Urteils zur Rentenbesteuerung. Und auch für Bundeskanzler Gerhard Schröder und Finanzminister Hans Eichel hatte Limbach beruhigende Nachrichten parat. Zwar sei die bisherige unterschiedliche Praxis bei der Besteuerung von Renten und Pensionen verfassungswidrig, doch dürften bei der verlangten Reform auch "die öffentlichen Haushalte nicht überlastet werden".
Entsprechend ließen Limbach und ihre Richterkollegen der Regierung für die Umsetzung der nun erforderlichen Reform großen Spielraum. Statt durch detaillierte Vorgaben als "Ersatzgesetzgeber" aufzutreten, hielt sich das BVG mit inhaltlichen Details zurück. Auch zeitlich wurde nur festgelegt, dass bis Ende 2004 eine Neuregelung beschlossen sein muss. Wann diese umgesetzt wird, bleibt der Regierung überlassen. "Es ist Sache der Politik, für eine gleichheitsgerechte Besteuerung zu sorgen", sagte Limbach.
Diese Steilvorlage griffen Eichel und Arbeitsminister Walter Riester schnell auf und ließen dabei auch gleich erkennen, wohin die Reise gehen soll. Schrittweise wolle die Regierung Rentenbeiträge völlig steuerfrei stellen, verkündeten die SPD-Minister die gute Nachricht zuerst. Auf der Gegenseite äußerten sie sich vorsichtiger: Es gelte, "unter Vermeidung von sozialpolitischen Härten die notwendige Gleichbehandlung bei der Besteuerung von Alterseinkünften herbeizuführen", deuteten beide auf längere Sicht eine stärkere Besteuerung zumindest höherer Renten an.
"Die Bundesregierung wird die Masse der Renten auch weiterhin steuerlich nicht belasten und dabei insbesondere den notwendigen Vertrauensschutz gewährleisten", stellten Eichel und Riester zugleich klar. Steuerausfälle sollen dafür in einem mit dem Ziel der Haushaltskonsolidierung vereinbaren Ausmaß hingenommen werden. Bis Ende des Jahres soll eine Kommission Vorschläge vorlegen.
Inhaltlich laufen die Vorschläge Eichels und Riesters auf einen allmählichen Übergang von der bisherigen vorgelagerten Besteuerung zur nachgelagerten Besteuerung der Renten hinaus. Damit würden die Beiträge der Arbeitnehmer in die gesetzliche Rentenkasse steuerfrei gestellt, die ausbezahlten Renten dafür später wie normales Einkommen besteuert. Derzeit ist es genau umgekehrt: Während die Beiträge überwiegend aus dem versteuerten Einkommen bezahlt werden, muss im Alter de facto kaum ein Rentner Steuern zahlen und wenn, dann nur auf einen geringen, so genannten Ertragsanteil.
Eichel hatte schon vor Monaten signalisiert, dass er die nachgelagerte Besteuerung der Renten bevorzugt. Zwischen den Zeilen ließen auch die Verfassungsrichter erkennen, dass sie dies für den gangbarsten Weg halten. Insgesamt zahlt der Staat dabei drauf, da sofort Einnahmen aus der Besteuerung der Beiträge wegfallen, während erst viel später zusätzliche Einnahmen durch die Besteuerung der Renten anfallen - wenn überhaupt, denn durch Freibeträge und die im Verhältnis zum Arbeitseinkommen geringere Höhe der Renten dürften wohl nur wenige Bezieher hoher Renten oder Rentner mit hohen Zusatzeinkünften wie Mieten in fernerer Zukunft etwas an den Fiskus abführen müssen.
Die Bundesregierung zeigte sich mit dem Urteil zufrieden und ließ sich dabei nicht von CDU-Generalsekretär Laurenz Meyer irritieren, der gleich die gesamte bisherige rot-grüne Rentenpolitik in Scherben sieht. Bedeckt gab sich ansonsten nur Peter Heesen vom Deutschen Beamtenbund, der für die Pensionäre offenbar mehr erwartet hatte. Er forderte nun für den Übergang zumindest höhere Freibeträge für Beamte im Ruhestand.
Bundeskanzler Schröder aber steht nach dem BVG-Urteil nicht wie befürchtet vor dem Problem, für neue Milliardenlöcher im Haushalt oder zusätzliche Steuerlasten für Rentner haftbar gemacht zu werden. Im Bundestagswahlkampf dürfte das Thema allenfalls am Rande eine Rolle spielen.